Portrait Adrian Schmid Leiter Geschäftsstelle eHealth Suisse
Nachgefragt

«Wir stehen vor einem Meilenstein, sind aber noch nicht am Ziel»

Die Einführung des elektronischen Patientendossiers in der Schweiz nimmt Gestalt an. In den ersten Kantonen können interessierte Personen ihre Dossiers eröffnen. Adrian Schmid, Leiter der Geschäftsstelle eHealth Suisse, zieht Zwischenbilanz: «Es bleibt noch viel zu tun.»


Herr Schmid, in der Westschweiz und im Kanton Aargau ist es bereits möglich, ein elektronisches Patientendossier zu eröffnen. Haben Sie bereits Ihr eigenes Dossier?

Ja, sicher. Im Mai hat die erste Eröffnungsstelle für das nationale elektronische Patientendossier in Aarau ihren Betrieb aufgenommen. Und da bin ich selbstverständlich hingereist, um mir mein Dossier zu eröffnen. Ich habe sogar schon einige Dokumente hochgeladen.

 

Wie kompliziert war die Eröffnung?

Ich musste eine Einwilligungserklärung unterschreiben, einen Ausweis mitbringen und eine App einrichten. Ganz ohne Aufwand ist es also noch nicht möglich. Mit der Lancierung ihrer elektronischen Patientendossiers sammeln die Kantone nun erste Erfahrungen. Wir stehen vor einem Meilenstein, sind aber noch lange nicht am Ziel.

 

Wie meinen Sie das? An der Einführung des elektronischen Patientendossiers arbeiten die Kantone ja bereits seit mehreren Jahren.

In den nächsten Monaten wird es in den Kantonen immer mehr Eröffnungsstellen für das elektronische Patientendossier geben. Die Arbeit geht uns damit aber nicht aus: Technik und Prozesse müssen aufgrund der Erfahrungen und Rückmeldungen laufend optimiert und vereinfacht werden. Da gibt es noch viel zu tun. Und die technischen Fragen sind nur die eine Seite der Medaille. Mindestens ebenso wichtig und anspruchsvoll ist der damit verbundene kulturelle Wandel.

 

Wie genau müsste dieser Wandel denn aussehen?

Die Einführung des elektronischen Patientendossiers ist eine Generationenaufgabe. Sie verlangt gesamtschweizerisch einen kulturellen Wandel in unterschiedlichsten Bereichen. Man muss sich einmal vor Augen führen, wer alles von diesem Wandel betroffen ist: die ganze Schweizer Bevölkerung als potenzielle Besitzer eines Dossiers. Gleichzeitig ist das gesamte medizinische Fachpersonal mit all den damit verbundenen privaten, halbstaatlichen und staatlichen Institutionen gefordert, mit diesen Dossiers zu arbeiten. Und das alles immer im Rahmen unserer föderalistischen Strukturen. Mit Zwang erreicht man da gar nichts. Wenn man an einer Pflanze zieht, wächst sie deshalb nicht schneller. Man muss sie düngen.

 

Wie werden Sie das elektronische Patientendossier weiter «düngen»?

Wir werden weiterhin den Dialog suchen und Aufklärungsarbeit leisten. Die Spitäler sollten ihre elektronischen Patientendossiers  eigentlich bereits im Jahr 2020 einführen. Die über die Regionen gestaffelte Einführung sowie die Coronapandemie haben die Einführung verzögert und die Aufbruchsstimmung etwas getrübt. Es ist nun gut, dass sich der Nutzen des elektronischen Patientendossiers bald in der Praxis beweisen kann.

 

Wo liegen denn die grossen Vorteile des Patientendossiers?

Das elektronische Patientendossier ist ein wesentlicher Schritt in der Digitalisierung unseres Gesundheitssystems. Für unsere Gesundheit bezahlen wir in der Schweiz monatlich alle durchschnittlich 800 Franken. Es sollte selbstverständlich sein, dass wir jederzeit uneingeschränkt Zugriff zu all unseren medizinischen Daten haben. Und dass wir bestimmen, wer Einsicht nehmen darf und wer nicht. Das Patientendossier ist also vor allem ein Projekt für die Bevölkerung.

 

«Es sollte selbstverständlich sein, dass wir jederzeit uneingeschränkt Zugriff zu all unseren medizinischen Daten haben.»

 

Was bedeutet die Einführung für das medizinische Fachpersonal?

Auch das medizinische Fachpersonal wird profitieren. Ich erhalte bereits heute viel positives Feedback von jungen Medizinerinnen und Medizinern sowie aus Gruppenpraxen. Ihnen kann die Einführung nicht schnell genug gehen. Kürzlich sprach ich mit einer Hebamme, die in einem Geburtshaus tätig ist: Sie freut sich darauf, dass sie medizinische Daten von werdenden Müttern im Notfall dem Spital nicht mehr in einem Sichtmäppchen übergeben muss. Genau solche Schnittstellen schliesst das elektronische Patientendossier einfach und sicher.

 

Welches sind aus Ihrer Sicht die nächsten anstehenden Herausforderungen?

Auf die Eröffnung der ersten Dossiers folgt nun die Aufbauarbeit. Der Kulturwandel in unserer Gesellschaft wird einige Zeit in Anspruch nehmen. Parallel dazu müssen die technischen Lösungen und Prozesse laufend verbessert und vereinfacht werden. Sobald die ersten Patientinnen und Patienten mit ihren medizinischen Fachpersonen von den Möglichkeiten des elektronischen Patientendossiers profitieren, wird sich der Prozess beschleunigen.

 

«Der Kulturwandel wird einige Zeit in Anspruch nehmen.»

 

Mit diesem Interview eröffnen Sie den neuen Blog zum elektronischen Patientendossier. Welche Ziele verfolgt das neue Angebot?

Die Geschäftsstelle eHealth Suisse hat den Auftrag, die Einführung des Patientendossiers kommunikativ zu begleiten. Der Blog soll unter anderem auch den Menschen eine Stimme geben, die sich für unser Gesundheitssystem einsetzen. Wir sind froh um das konstruktive Feedback von allen Betroffenen. Ich freue mich auf einen weiterhin fruchtbaren Dialog.

 

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