Universitätsspital Genf
Nachgefragt

«Das EPD ist mehr als eine IT-Lösung»

Das Universitätsspital Genf verfügt über langjährige Erfahrung mit einem elektronischen Patientendossier – dem «MonDossierMedical.ch». Seit Oktober 2021 überträgt das Universitätsspital die entsprechenden Daten auf das vom Bund zertifizierte EPD von CARA. Zwei Fachpersonen* berichten, wie das Universitätsspital Genf den Übergang konkret gestaltet.


Das Universitätsspital Genf arbeitet seit Jahren erfolgreich mit dem «MonDossierMedical.ch». Im Zuge der schweizweiten Einführung des elektronischen Patientendossiers wird das «MonDossierMedical.ch» nun durch das elektronische Patientendossier der Stammgemeinschaft CARA ersetzt. Daran angeschlossen sind die Kantone Wallis, Waadt, Genf, Freiburg und Jura. Die zwei grossen Plus der neuen, nationalen Lösung: Die hohe, durch die Zertifizierung des Bundes bestätigte Datensicherheit und die gesamtschweizerische Kompatibilität des Systems.

Wie einfach ist der Wechsel vom einen zum anderen System? Welche Daten lassen sich migrieren? Und wie reagieren Fach- und Privatpersonen auf die neue technische Lösung?

Antworten auf diese Fragen haben der IT-Architekt Stéphane Spahni* und die Projektleiterin Corrèze Lecygne* – beide arbeiten am Universitätsspital Genf (HUG). Stéphane Spahni verantwortet die technischen Aspekte der Migration. Corrèze Lecygne ist verantwortlich für das Patientenregistrierungsteam und die Ausbildung von Gesundheitsfachkräften am Universitätsspital Genf.

 

Herr Spahni, Sie sind Informatikspezialist am Universitätsspital Genf und betreuen das elektronische Patientendossier in technischer Hinsicht. Welche Aufgaben erfüllen Sie?

S. Spahni: Ich habe bereits den Einsatz des «MonDossierMedical.ch» technisch begleitet. Nun arbeite ich mit meinem Team an der Migration der entsprechenden Daten in das vom Bund zertifizierte elektronische Patientendossier der Stammgemeinschaft CARA. Voraussetzung für eine breite Akzeptanz des elektronischen Dossiers ist die möglichst nahtlose Einbettung («starke Integration») in das bestehende Computersystem – dies ist uns im Übrigen mit MonDossierMedical.ch gelungen. Wir müssen uns nun an die neuen Prozesse anpassen und diese Eingliederung mit möglichst wenig Schnittstellen (IT-Integration) auch auf die neue Plattform übertragen. Zudem entwickeln wir das bestehende System weiter, um neue Funktionen anbieten zu können. Das elektronische Patientendossier ist jedoch weit mehr als eine reine IT-Lösung.

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«Ganz wichtig ist, dass auch die organisatorischen Abläufe stimmen.»

 

Wie meinen Sie das?

S. Spahni: Ganz wichtig ist, dass auch die organisatorischen Abläufe stimmen – von der Eröffnung des Dossiers, über die Migration der Daten bis hin zur Pflege des einmal eingerichteten Dossiers. Dank unserer Erfahrung mit MonDossierMedical.ch hatten wir diese einzelnen Schritte bereits sauber definiert und konnten sie ins neue System übertragen. Wir kämpfen noch mit einigen Kinderkrankheiten, aber wir sind schon ein gutes Stück weitergekommen.

 

Hat Sie diese Komplexität überrascht? 

S. Spahni: Nein, denn wir beschäftigen uns schon seit einiger Zeit mit dem elektronischen Patientendossier. Der Teufel steckt bekanntlich im Detail: Die Herausforderungen lauten «Kompatibilität», «Zuverlässigkeit» und «technische Stabilität».

 

Sie sprechen von «Weiterentwicklung». Das elektronische Patientendossier ist doch zertifiziert. Was können Sie da noch verbessern?

C. Lecygne: Wir lernen jeden Tag dazu. Am Anfang dauerte es eine Stunde, um eine Akte für eine Privatperson anzulegen. Jetzt dauert das Verfahren 30 Minuten. Wir haben es effizienter gestaltet.

 

Wie reagiert die Bevölkerung auf das neue Dossier der Stammgemeinschaft CARA?

C. Lecygne: Dank den Erfahrungen mit MonDossierMedical.ch kennt die Bevölkerung hier im Kanton Genf die Vorteile des elektronischen Patientendossiers. Das Interesse daran ist sehr gross. Einmal eingerichtet, bringt das elektronische Patientendossier den Patientinnen und Patienten selbst viele Vorteile. Zum ersten Mal sind sie wirklich im Besitz ihrer Gesundheitsdaten. Der Ansturm ist gross. Es melden sich Personen aus der ganzen Schweiz, die ihr elektronisches Patientendossier bei CARA eröffnen wollen. Wir haben lange Wartezeiten. Das ist nicht einfach.

 

Inwiefern?

C. Lecygne: Die Leute verstehen nicht immer, dass sie für ihr Patientendossier nun eine elektronische Identität benötigen. Für diese Identifizierung braucht es ein physisches Treffen.

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«Die Übersicht über ihre Krankheitsgeschichte ist den Patientinnen und Patienten sehr wichtig.»

 

Können Sie alle Daten aus dem «MonDossierMedical.ch» auf das neue Dossier CARA übertragen?

S. Spahni: Die meisten. Eine automatische Übertragung war allerdings aus rechtlichen und technischen Gründen nicht möglich. Deshalb müssen die Dossiers neu eröffnet werden. Bei einer Neuanmeldung finden Patienten die Daten vom Universitätsspital und von Gesundheitsfachpersonen automatisch wieder. Die anderen Dokumente können wir nur mit der Zustimmung des Patienten übertragen. Wir bieten Ihnen bis zum 31. Dezember 2022 einen Service zur Übertragung der Dokumente an. Die Übersicht über ihre Krankheitsgeschichte ist den Patientinnen und Patienten sehr wichtig.

 

Das Interesse der Privatpersonen ist gross. Wie steht es mit den Gesundheitsfachpersonen?

C. Lecygne: : Die dem Universitätsspital Genf angeschlossenen Gesundheitsfachpersonen kennen die Vorteile des elektronischen Patientendossiers aus den vergangenen Jahren bestens. Der Wechsel zu CARA erfordert jedoch einen gewissen Initialaufwand. Unserem Pflegepersonal offerieren wir eine vierzigminütige Videoschulung. Wir unterstützen die Mitarbeitenden dabei, die elektronische Identität und das Konto auf der CARA-Plattform einzurichten. Sobald sich auch andere Krankenhäuser und Gesundheitsfachpersonen am elektronischen Patientendossier beteiligen, wird es einfacher sein, sie zu motivieren.

  

«Auf dem Weg hin zum digitalen Gesundheitssystem können und müssen wir alle voneinander lernen.»

 

Was raten Sie Ihren Kolleginnen und Kollegen in anderen Spitälern für die Einführung des elektronischen Patientendossiers?

S. Spahni: Planen Sie genügend Zeit und Ressourcen ein! Wir haben hier am Universitätsspital Genf sieben Personen, die sich mit der Einführung des elektronischen Patientendossiers CARA beschäftigen, zwei davon fokussieren auf die Technik (110 Stellenprozente), fünf auf die Administration (430 Stellenprozente). Für das Pflegefachpersonal wäre der Aufwand zu gross, die Dossiers für die Patienten zu eröffnen.

C. Lecygne: Wir verfügen über zwei Anlaufstellen, bei denen Interessierte einen Termin vereinbaren können, um ein Dossier anzulegen. Ausserdem steht ein allgemeiner Beratungsdienst zur Verfügung. Dieser Beratungsdienst ist sehr gefragt: Wir erhalten bis zu 40 Anrufe pro Tag. Wenn ich etwas raten müsste, würde ich zudem den fachlichen Austausch mit anderen Spitälern empfehlen. Auf dem Weg hin zum digitalen Gesundheitssystem können und müssen wir alle voneinander lernen.

 

Haben Sie da selbst Erfahrung?

C. Lecygne: Ja, wir pflegen seit Jahren den Austausch mit anderen Spitälern innerhalb der französischen Schweiz. Neu dazugekommen ist eine Kooperation mit Spitälern im Tessin. Diese Kontakte sind sehr wertvoll.

 

Welche Erkenntnisse ziehen Sie daraus? Können Sie dazu ein Beispiel machen?

S. Spahni: Im Zentrum stehen Fragen aus der Praxis – die Realität hinter der Theorie. Stellen Sie sich zum Beispiel vor, eine Ärztin diagnostiziert bei einem Patienten eine schlimme Krebs-Erkrankung in fortgeschrittenem Stadium. Ab wann stellt sie diesen Befund schriftlich zur Verfügung? Wann gelangt er auf das elektronische Patientendossier? Aller Technik zum Trotz braucht der Patient in erster Linie das Gespräch. Die Abstimmung solcher Prozesse gehört zu den Herausforderungen der praktischen Umsetzung. Ein weiteres Beispiel: Die Örtlichkeiten der Eröffnungsstellen sind sehr wichtig. Die Erfahrung der Spitäler zeigt, dass Patientinnen und Patienten ihr Dossier lieber in einem medizinischen Umfeld eröffnen als in irgendeinem Büro.

  

«Die Begeisterung der Patentinnen und Patienten ist der beste Beleg für das Potenzial des elektronischen Patientendossiers.»

 

Wir haben viel von den technischen Herausforderungen des elektronischen Patientendossiers gesprochen. Wie optimistisch sind Sie, was die Zukunft dieser Lösung anbelangt?

S. Spahni: ((Lacht)) An technische Herausforderungen sind wir Informatiker uns gewohnt, das ist unser Beruf. Für uns ist es normal, dass ein Prototyp nicht gleich in allen Bereichen reibungslos funktioniert. Die Begeisterung der Patentinnen und Patienten ist der beste Beleg für das Potenzial des elektronische Patientendossiers.

C. Lecygne: Dem elektronischen Patientendossier gehört die Zukunft. Wir leisten hier in Genf gewissermassen Pionierarbeit. Da gehören technische Hürden nun einmal dazu. Längerfristig wird sich die nationale Lösung durchsetzen.

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