Nachgefragt

Interoperable Gesundheitsinformationen sind eine Herausforderung

Oliver Egger ist Gründer der ahdis ag. Das Unternehmen unterstützt Organisationen bei eHealth-Projekten und rund um das elektronische Patientendossier. Es setzt sich für den interoperablen Austausch von Gesundheitsdaten ein. Oliver Egger spricht über FHIR, den aktuellen internationalen Standard, und über die Fortschritte der Schweiz beim Austausch strukturierter Daten im Gesundheitswesen.

Herr Egger, Sie haben eine Firma gegründet, die sich auf die Standardisierung des Informationsaustauschs im Gesundheitswesen spezialisiert hat. Wo stehen wir heute mit dem Austausch von Gesundheitsinformationen in der Schweiz? Woher kommt dieses Engagement?

Die Schweiz steht beim Austausch von Gesundheitsinformationen über Organisationen hinweg erst am Anfang und liegt auch deutlich hinter anderen Ländern zurück, wie dies zum Beispiel die Externer Link: Bertelsmann-Studie gezeigt hat. International hat sich in den letzten Jahren einiges getan, darum auch unser Engagement. Wir wollen, dass auch die Schweiz beim interoperablen Austausch vorwärtskommt.

Wie ordnen Sie das EPD in dieser Landschaft ein? Wo sehen Sie aktuell die Stärken, wo die Schwächen?

Mit dem elektronischen Patientendossier (EPD) haben wir in der Schweiz zum ersten Mal eine Infrastruktur zur Verfügung, mit der Dokumente und Daten schweizweit für alle Personen zur Verfügung gestellt werden können. Dieser Aufbau ist eine gute Basis. Wir sehen dies zum Beispiel in Österreich, wo auf Basis der ELGA (österreichisches Äquivalent zum EPD) schnell neue Anwendungen ermöglicht werden konnten.

Eine Herausforderung ist die Verbreitung des Schweizer EPD. Einerseits sind viele Leistungserbringende noch nicht an die Infrastruktur angeschlossen, andererseits gibt es bis jetzt erst wenige Personen, die ein EPD für sich eröffnet haben. Ich hoffe, dass die anstehenden Gesetzesrevisionen zu einer grösseren Verbreitung des EPD beitragen.

Sie arbeiten schon seit vielen Jahren als Berater für eHealth Suisse und das EPD. Warum haben wir heute noch nicht mehr sogenannte Austauschformate, die den interoperablen, strukturierten Datenaustausch ermöglichen?

Austauschformate wie zum Beispiel ein strukturierter Medikationsplan oder ein Laborbefund enthalten viele Informationen. Die beteiligten Parteien müssen sich auf die Bedeutung und Relevanz von Begrifflichkeiten einigen, damit Informationen standardisiert ausgetauscht werden können. Dieser Prozess ist langwierig, da viele Stakeholder beteiligt sind und eingebunden werden müssen, um ein für alle optimales Resultat erzielen zu können. Neue Austauschformate werden – zum Beispiel im Rahmen des EPD-Projectathons – auf ihre Praxistauglichkeit getestet. So sind im Bereich Medikation und Impfungen die ersten Austauschformate entstanden.

Die Entwicklung von Austauschformaten findet vermehrt auf europäischer und internationaler Ebene statt. Im Rahmen des European Health Data Space sind acht verpflichtende Austauschformate in der EU vorgesehen. Eines davon, der Laborbefund, wird auch in der Schweiz als Basis verwendet. Dies ist ein schönes Beispiel, wie internationale Interoperabilitätsarbeit funktioniert.

Selbst wenn die Austauschformate definiert sind, ist es immer noch ein weiter Weg bis zur Anwendung in der Praxis, denn zuerst müssen sie in die verschiedensten Softwaresysteme und in die Standardabläufe integriert werden. Dazu kommt, dass es in der Schweiz keine Regulierung oder Anreize gibt, solche Austauschformate einzusetzen. Die einzigen Ausnahmen sind bis jetzt die zwei gesetzlich verordneten Austauschformate eImpfung sowie eMedikation, deren Umsetzung in der Verordnung des EDI über das elektronische Patientendossier (Externer Link: Angang 4, EPDV-EDI) rechtlich vorgeschrieben ist. 

Diverse Akteure im Gesundheitswesen fordern strukturierte Daten. Nur so werde das EPD für sie nutzbringend. Was würden Sie diesen Personen auf ihre Forderungen antworten?

Medikationslisten und Impfungen könnten schon heute strukturiert im EPD abgelegt werden. Aber es fehlt an der Verbindlichkeit zur Implementierung. Darum sollten Anreize oder Regulationen geschaffen werden, damit Daten vermehrt bereits an der Quelle strukturiert werden und sie so für die Empfänger und Leistungserbringer nutzbringend sind. In den USA gibt es zum Beispiel eine entsprechende Regulation, dass jeder Provider den Patientinnen und Patienten ein Kerndaten-Set strukturiert über eine Schnittstelle bereitstellen muss.

Auf der anderen Seite sehen wir vermehrt Pilot-Projekte, bei denen mittels KI die Umwandlung von unstrukturierten zu strukturierten Daten unterstützt wird. Der viel zitierte PDF-Friedhof, der beim EPD bemängelt wird, könnte sich in Zukunft in ein Gefäss zur strukturierten Datenaufbewahrung verwandeln.  

Was kann eHealth Suisse tun, um den strukturierten Datenaustausch noch mehr zu fördern?

eHealth Suisse hat eine Vorreiterrolle bei der Entwicklung des interoperablen Datenaustauschs in der Schweiz eingenommen. Um den strukturierten Austausch zu fördern, wäre es aus meiner Sicht wichtig, dass eHealth Suisse ein Kerndaten-Set mit entsprechender Schnittstelle definiert.

Was können weitere Akteure wie zum Beispiel die Hersteller von Krankenhausinformationssystemen bzw. Primärsystemen tun, damit der strukturierte Datenaustausch zur Norm wird?

Hilfreich ist es, wenn die Leistungserbringer die entsprechenden interoperablen Ansätze bereits in den Ausschreibungen verlangen und in ihrer Organisation entsprechend einbinden. Es gibt innovative
Hersteller, welche die Standarisierung direkt in ihren Produkten einbauen und aktiv an Standardisierungsaktivitäten teilnehmen. Schlussendlich aber werden die Hersteller das machen, was der Markt einfordert. 

eHealth Suisse setzt bei der Entwicklung ihrer Austauschformate auf den FHIR-Standard. Warum ist dies der Standard der Stunde und wer legt diese Standards fest?

FHIR ist die neuste Standardgeneration von HL7, einer internationalen Standardisierungsorganisation. FHIR ermöglicht es einerseits, Daten aus dem Gesundheitswesen zu strukturieren, andererseits bietet dieser Standard eine Schnittstelle (API) an, um die Daten interoperabel auszutauschen. Es ist ein offener Standard, der Konsens-basiert weiterentwickelt wird, in der IT-Industrie breit akzeptiert ist und eine grosse Community hat. Dass eHealth Suisse für die Entwicklung der Austauschformate und für die Weiterentwicklung des EPD auf FHIR setzt, ist deshalb zukunftsweisend.

Was geschieht, wenn verschiedene Leistungserbringer mit unterschiedlichen Standards arbeiten? Lassen sich die Informationen «übersetzen» oder wird der Datenaustausch dadurch verunmöglicht?

Es gibt natürlich nicht nur FHIR als Standard. Wir haben verschiedene Standards und Normen, die das Gesundheitswesen abdecken, sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene. Standards lassen sich übersetzen, dies ist aber mit zusätzlichem Aufwand verbunden. Aus diesem Grund gibt es internationale Initiativen wie den «Externer Link: Joint Initiative Council» (Initiative für die weltweite Standardisierung im Gesundheitswesen), um die Standards zu harmonisieren. Auch in der Schweiz sind wir dabei, den Austausch der Standardisierungsorganisationen im Gesundheitswesen zu koordinieren, damit wir in Zukunft die verschiedenen Standards besser harmonisieren bzw. interoperabel machen können.

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